Im Prozess um des Esels Schatten streiten sich Mieter und Besitzer eines Esels so lange um dessen Schatten, bis kein Kompromiss oder eine friedliche Einigung mehr möglich ist. Stattdessen wird die Angelegenheit zum ewigen Stadtgespräch und spaltet die ganze Gesellschaft in zwei sich feindlich gegenüberstehende Parteien: die Esel und die Schatten.
Christoph Martin Wieland (1733–1813) hat den antiken Stoff in seine Gesellschaftssatire über Die Abderiten integriert, in der er die Kleinbürgerlichkeit seiner Zeitgenossen in Szene setzt, und gleichzeitig mit der Mahnung versieht, Abdera könne überall sein.
Friedrich Dürrenmatt (1921–1990) hat den Prozess als Hörspiel umgearbeitet. »nach Wieland, aber nicht sehr«. Die Beiträge in diesem Band kontextualisieren und vergleichen die Prozess-Geschichten, sie werfen gesellschaftspolitische Schlaglichter auf die Texte und auch auf die Esel-Skulptur, die im Jahr 2000 in Wielands Heimatstadt Biberach an der Riß auf dem Marktplatz errichtet wurde. Die Beiträge gehen alle der Frage nach, was das antike Abdera mit uns zu tun hat.
Kerstin Bönsch
Kerstin Bönsch leitet das Wieland-Museum, Biberach